Dass man dafür keinen promovierten Mathematiker und
Warteschlangentheoretiker braucht dürfte nicht allzu schwer
nachvollziehbar sein. Die Zeiten zu obigem Schaubild konnte ich zumindest
mit dem Aviat ausrechnen. Teile des Bildes habe ich mir aus der HALS/DTOP-CD
„ausgeliehen", weswegen die Qualität evtl. etwas gelitten hat. Wichtig ist
lediglich, dass sichtbar wird in welchem Ausmaß sich in Abhängigkeit vom
Wind die Zeit zwischen zwei Flugzeugen im Short Final ändert.
Man kann erkennen, dass bei minimaler Staffelung von (z.B.
LHR) 2,5nm im Endanflug, der Zeitunterschied von der 5kt
Rückenwind-Variante bis 20kt Gegenwind 13s ausmacht. Nimmt man die 5kt
Gegenwind als Basis, so ist herauszulesen, dass theoretisch alle 66,6s ein
Flugzeug landen würde. Macht kumuliert, wieder rein theoretisch und
konstant minimalste Staffelung vorausgesetzt, rund 54 Landungen pro
Stunde. Nimmt der Gegenwind auf 20kt zu so sind es nur noch 48 Touchdowns
die Stunde und damit rund 11% weniger. Ist aber der Demand, also die
Anzahl der angemeldeten Flüge unverändert hoch bei 54, so müssen
zwangsläufig sechs Flüge in die nächste Stunde verschoben werden, zwölf in
die übernächste usw. Nach vier Stunden sind also fast 25 Flieger definitiv
nicht mehr pünktlich.
Der Umkehrschluß, dass es bei Rückenwind schneller geht
ist natürlich auch richtig und von einigen Frankfurter Lotsen weiß ich,
dass sie lieber mit leichtem Rückenwind arbeiten, als mit kräftigem
Gegenwind. Die Flieger sind einfach „schneller vom Hof" und damit staut es
sich nicht mehr so extrem.
Dabei ergeben sich bei schwierigen Windverhältnissen für
die Lotsen Herausforderungen die uns im Cockpit mitunter gar nicht bewusst
sind.
Beispiel 1: starke Seitenwindkomponente in der
intermediate Altitude wenn von beiden Seiten auf den Endanflug gevectored
wird. Während die einen Flieger Riesenturns fliegen, drehen die anderen
praktisch auf der Stelle. Als Faustformel gilt, dass ein Anflug im Baseleg
bei einer Entfernung von ca. GS/100 vor der verlängerten Anfluggrundlinie
das Intercept-Heading erhält. Ist der Flieger also mit 230kt über Grund
unterwegs, so wird er ca. 2,3nm vor der Centerline auf den
Intercept-Heading gedreht. Bei Wind, der dem Lotsen ja nicht direkt
angezeigt wird, verhält es sich dann ähnlich wie bei uns im Cockpit mit
einem Circling-Approach. Es muß jeweils etwas früher, später oder weniger
stark gedreht werden. Allerdings fragen Herr und Frau „Director" vor einem
beginnenden Rush schon gern mal den Wind bei 15nm-Final ab, um ihn bei der
Radarführung entsprechend zu berücksichtigen. Hilfreich wäre hierbei
durchaus ein Precision-Radar mit einer Update-Rate von 1sec.
Kursabweichungen und tatsächliche Groundspeed stehen dem Lotsen damit sehr
viel schneller zur Verfügung als mit dem aktuell üblichen 5sec-Update.
Unglücklicherweise tut sich das moderne P1 mit seinem Multitracking über
mehrere Radarantennen auch schwer die Turns der Flieger rechtzeitig zu
erkennen. So haben mir Lotsen berichtet, dass ein Flieger im Baseleg ewig
nicht dreht, der Lotse schon über einen Re-Intercept nachdenkt und das
Target am Schirm plötzlich einen 90°-Kurssprung macht. „Besser ist es da,
wenn man nur mit den Daten einer Antenne arbeitet" hat mir ein Approacher
gesteckt, „Dann werden die Kurven schön rund".
Beispiel 2: Windshear zwischen Outer Marker und Touchdown.
Kritisch ist hier, wenn der Wind von Tailwind auf Headwind dreht. Nach
Aussage meiner befreundeten Approach-Lotsen ist es nur sehr schwer
vorherzusagen wie stark die Flieger verzögern. Die einen ‘stehen’ in Null
komma Nichts und die anderen verzögern nur äußerst langsam. Hier den
richtigen Zeitpunkt zu finden und die korrekte Speed zuzuweisen ist nicht
einfach und bedarf sehr viel Erfahrung. Faustregel bei normalem Wetter und
schwachem Wind: ca. 1nm vor Erreichen der Minimalstaffelung wird die
Speed-Reduction angewiesen. Also bei 3,5nm Abstand zum Vordermann, wenn
2,5nm gefordert sind. Wobei diesen Zeitpunkt jeder Lotse aufgrund seiner
eigenen Erfahrung selbst festlegt, weil „2,5nm werden’s eh irgendwann".
Das kann z.B. auch bedeuten dass ein Jet hinter einem Turbo-Prop mit 5nm
„vorgestaffelt" wird, weil der Propellerflieger in der Regel sehr viel
stärker an Geschwindigkeit abbaut als ein Jet. Dass selbst das zu wenig
sein kann musste ich zuletzt selbst erleben, als wir bei starkem Gegenwind
von 5nm Anfangsstaffelung auf beinahe 2nm auf den Vordermann aufflogen,
was zeitlich gesehen zu knapp war und schließlich im Go-Around endete.
Wenig hilfreich ist hierbei auch ein sehr heterogenes Feld an
Flugzeugtypen. Während London praktisch nur Jets abfertigt, sind FRA, MUC
und DUS reichlich mit kleinerem Fluggerät gesegnet und z.B. HAM auch noch
mit übendenden Delta-Echos konfrontiert. Wussten Sie, dass die Staffelung
zwischen einem D-Echo-IFR-Trainingsflug und einem Jet im Endanflug
dahinter durchaus mal 10nm betragen kann um der höheren Speed des Jets
Rechnung zu tragen?
Unkritischer betrachten die Lotsen die Windscherung von
Head- auf Tailwind. Dreht der Wind nach dem Outer Marker sehr deutlich auf
Rückenwind, so entspannt sich die Situation für die Lotsen wieder
dahingehend, dass sich die Abstände nach unten hin eher wieder vergrößern
und damit eine geringere Aufmerksamkeit notwendig ist, weil wenn einmal
die Staffelung beim OM aufgebaut ist, „die Sache eigentlich gelaufen ist".
Generell ist es bei tückischen Winden aber schon so, dass „man sich mit
Erfahrung nach drei, vier Fliegern ‘eingeschossen’ hat und anschließend
automatisch richtig weiterstaffelt", so einer meiner Freunde bei Approach
in Hamburg.
Das war nun ein kurzer Einblick in die kleinen Tücken, die
uns der Wind bescheren kann. Dies hier war der vermutlich vorletzte Teil
der kleinen Serie. Im nächsten Teil geht es um eine Nachtschicht bei
Rhein-Radar in Karlsruhe. Die DFS hat es mir ermöglicht dort einmal eine
ganze Nacht mit am Radarschirm zu verbringen und bei dieser Gelegenheit
mit einem der Kollegen aus der Überlingen-Nacht zu reden.