Kleine ATC - Weisheiten ( 4 )

Kritische Windprofile im Endanflug

 

In der VC-Info 5-6/2003 wurden in der Presseschau zwei Artikel zitiert. Einer von GdF-Pressesprecher Marek Kluzniak und der andere von Uwe Kröger. Beide bezogen sich auf die (Zusammen-)Arbeit von Lotsen und Piloten welche, nach einigen sprichwörtlich turbulenten Herbsttagen im Jahre 2002, wieder in den Mittelpunkt des Interesses einiger Führungskräfte bei DFS und Airlines trat. Auslöser waren erhebliche Kapazitätseinbußen am Frankfurter Flughafen wegen der anhaltend kräftigen Herbstwinde. Warum dies so ist, bzw. warum bestimmte Windprofile für einen Approach-Lotsen, insbesondere den „Director" verhältnismäßig schwierig zu arbeiten ist, möchte ich in dieser Ausgabe versuchen zu klären.

Zuerst war aber ein MET-Refresher beim DWD München angesagt. Zwar blieben von der Flugschule noch diverse Grundlagen zum Wind hängen, aber bestimmte Dinge wollte ich mir schon nochmal von den Fachleuten bestätigen lassen. Wie kann es z.B. sein, dass der Wind vom Boden bis rund fünf-, sechstausend Fuss in Richtung und Stärke nahezu konstant aus einer Ecke bläst ? Hat man uns nicht immer beigebracht, dass der Wind auf der Nordhalbkugel mit der Höhe stärker wird und je nach Gelände um 30-60° nach rechts dreht ? Wie aber folgendes Bild einer Zyklone mit überlagertem Jet zeigt, ist es durchaus möglich, das zwar die bodennahe Strömung, ausgelöst durch die Kaltfront, tendenziell eher aus Nordwest bläst, der Wind mit der Höhe aber nach links auf die überlagerte Luftmassenbewegung aus West einschwenkt.

 

Sicherlich ist dabei der Jet die extremste Form. Das gleiche Phänomen tritt aber auch schon in kleinerem Maßstab bei einer Kaltluftadvektion auf. Dabei kann es dann passieren, dass die orographisch bedingte Rechtsdrehung durch die überlagerte Höhenströmung neutralisiert wird, der Wind damit bis in Bodennähe konstant aus einer Richtung bläst und an Stärke nur wenig einbüßt.

Ein weiteres Phänomen ist die Inversion. Sie führt immer zu einer extremen Windänderung. Ausschlaggebend hierfür, und das ist uns allen bekannt, ist die Temperaturzunahme mit der Höhe. Ein interessantes Beispiel hierfür ist die zweifache Inversion vom 14. Dezember 2003 in Oberschleissheim. Die vertikale Temperaturverteilung dafür haben wir vom DWD in München zur Verfügung gestellt bekommen, zusammen mit der Erklärung, dass bei einer solchen Situation der Bodenwind vollkommen von den höheren Schichten abgekoppelt wird. An der rechten Skala ist zu erkennen, dass der Wind von 10kt in Bodennähe auf ca. 60kt in fünf- bis sechstausend Fuss ansteigt.

Außerdem hält sich die Richtung hartnäckig auf beinahe West.

 

Wie wirkt sich aber die Windverteilung auf den anfliegenden Verkehr aus. Festzuhalten gilt erst mal, dass die Fluglotsen ihre Minimalstaffelung im Endanflug nicht unterschreiten dürfen. Ein Staffelungsminima ist für die Flugsicherung ähnlich harter Beton wie von uns ein WX-Minima behandelt werden sollte. Dass diese Werte von verschiedenen Charakteren natürlich unterschiedlich forsch angegangen werden liegt in der Natur des Menschen. So fährt der eine Kollege das Fahrwerk vielleicht schon in 2500ft AGL während der andere noch bis zum letzten Moment in evtl. 1600ft AGL wartet. Genauso führt vielleicht ein Lotse die Flieger mit hoher Speeddifferenz und letztmöglicher Speedreduktion zur geforderten Staffelung während ein anderer viele kleine Schritte und geringere Speedunterschiede bevorzugt. Der Durchsatz hängt aber letztlich von der Groundspeed ab. Je höher diese ist, desto kürzer ist das Zeitintervall zwischen zwei Landungen. Anhand einer kleinen Grafik möchte ich diese Abhängigkeit kurz erläutern.

 

 

Dass man dafür keinen promovierten Mathematiker und Warteschlangentheoretiker braucht dürfte nicht allzu schwer nachvollziehbar sein. Die Zeiten zu obigem Schaubild konnte ich zumindest mit dem Aviat ausrechnen. Teile des Bildes habe ich mir aus der HALS/DTOP-CD „ausgeliehen", weswegen die Qualität evtl. etwas gelitten hat. Wichtig ist lediglich, dass sichtbar wird in welchem Ausmaß sich in Abhängigkeit vom Wind die Zeit zwischen zwei Flugzeugen im Short Final ändert.

Man kann erkennen, dass bei minimaler Staffelung von (z.B. LHR) 2,5nm im Endanflug, der Zeitunterschied von der 5kt Rückenwind-Variante bis 20kt Gegenwind 13s ausmacht. Nimmt man die 5kt Gegenwind als Basis, so ist herauszulesen, dass theoretisch alle 66,6s ein Flugzeug landen würde. Macht kumuliert, wieder rein theoretisch und konstant minimalste Staffelung vorausgesetzt, rund 54 Landungen pro Stunde. Nimmt der Gegenwind auf 20kt zu so sind es nur noch 48 Touchdowns die Stunde und damit rund 11% weniger. Ist aber der Demand, also die Anzahl der angemeldeten Flüge unverändert hoch bei 54, so müssen zwangsläufig sechs Flüge in die nächste Stunde verschoben werden, zwölf in die übernächste usw. Nach vier Stunden sind also fast 25 Flieger definitiv nicht mehr pünktlich.

Der Umkehrschluß, dass es bei Rückenwind schneller geht ist natürlich auch richtig und von einigen Frankfurter Lotsen weiß ich, dass sie lieber mit leichtem Rückenwind arbeiten, als mit kräftigem Gegenwind. Die Flieger sind einfach „schneller vom Hof" und damit staut es sich nicht mehr so extrem.

Dabei ergeben sich bei schwierigen Windverhältnissen für die Lotsen Herausforderungen die uns im Cockpit mitunter gar nicht bewusst sind.

Beispiel 1: starke Seitenwindkomponente in der intermediate Altitude wenn von beiden Seiten auf den Endanflug gevectored wird. Während die einen Flieger Riesenturns fliegen, drehen die anderen praktisch auf der Stelle. Als Faustformel gilt, dass ein Anflug im Baseleg bei einer Entfernung von ca. GS/100 vor der verlängerten Anfluggrundlinie das Intercept-Heading erhält. Ist der Flieger also mit 230kt über Grund unterwegs, so wird er ca. 2,3nm vor der Centerline auf den Intercept-Heading gedreht. Bei Wind, der dem Lotsen ja nicht direkt angezeigt wird, verhält es sich dann ähnlich wie bei uns im Cockpit mit einem Circling-Approach. Es muß jeweils etwas früher, später oder weniger stark gedreht werden. Allerdings fragen Herr und Frau „Director" vor einem beginnenden Rush schon gern mal den Wind bei 15nm-Final ab, um ihn bei der Radarführung entsprechend zu berücksichtigen. Hilfreich wäre hierbei durchaus ein Precision-Radar mit einer Update-Rate von 1sec. Kursabweichungen und tatsächliche Groundspeed stehen dem Lotsen damit sehr viel schneller zur Verfügung als mit dem aktuell üblichen 5sec-Update. Unglücklicherweise tut sich das moderne P1 mit seinem Multitracking über mehrere Radarantennen auch schwer die Turns der Flieger rechtzeitig zu erkennen. So haben mir Lotsen berichtet, dass ein Flieger im Baseleg ewig nicht dreht, der Lotse schon über einen Re-Intercept nachdenkt und das Target am Schirm plötzlich einen 90°-Kurssprung macht. „Besser ist es da, wenn man nur mit den Daten einer Antenne arbeitet" hat mir ein Approacher gesteckt, „Dann werden die Kurven schön rund".

Beispiel 2: Windshear zwischen Outer Marker und Touchdown. Kritisch ist hier, wenn der Wind von Tailwind auf Headwind dreht. Nach Aussage meiner befreundeten Approach-Lotsen ist es nur sehr schwer vorherzusagen wie stark die Flieger verzögern. Die einen ‘stehen’ in Null komma Nichts und die anderen verzögern nur äußerst langsam. Hier den richtigen Zeitpunkt zu finden und die korrekte Speed zuzuweisen ist nicht einfach und bedarf sehr viel Erfahrung. Faustregel bei normalem Wetter und schwachem Wind: ca. 1nm vor Erreichen der Minimalstaffelung wird die Speed-Reduction angewiesen. Also bei 3,5nm Abstand zum Vordermann, wenn 2,5nm gefordert sind. Wobei diesen Zeitpunkt jeder Lotse aufgrund seiner eigenen Erfahrung selbst festlegt, weil „2,5nm werden’s eh irgendwann". Das kann z.B. auch bedeuten dass ein Jet hinter einem Turbo-Prop mit 5nm „vorgestaffelt" wird, weil der Propellerflieger in der Regel sehr viel stärker an Geschwindigkeit abbaut als ein Jet. Dass selbst das zu wenig sein kann musste ich zuletzt selbst erleben, als wir bei starkem Gegenwind von 5nm Anfangsstaffelung auf beinahe 2nm auf den Vordermann aufflogen, was zeitlich gesehen zu knapp war und schließlich im Go-Around endete. Wenig hilfreich ist hierbei auch ein sehr heterogenes Feld an Flugzeugtypen. Während London praktisch nur Jets abfertigt, sind FRA, MUC und DUS reichlich mit kleinerem Fluggerät gesegnet und z.B. HAM auch noch mit übendenden Delta-Echos konfrontiert. Wussten Sie, dass die Staffelung zwischen einem D-Echo-IFR-Trainingsflug und einem Jet im Endanflug dahinter durchaus mal 10nm betragen kann um der höheren Speed des Jets Rechnung zu tragen?

Unkritischer betrachten die Lotsen die Windscherung von Head- auf Tailwind. Dreht der Wind nach dem Outer Marker sehr deutlich auf Rückenwind, so entspannt sich die Situation für die Lotsen wieder dahingehend, dass sich die Abstände nach unten hin eher wieder vergrößern und damit eine geringere Aufmerksamkeit notwendig ist, weil wenn einmal die Staffelung beim OM aufgebaut ist, „die Sache eigentlich gelaufen ist". Generell ist es bei tückischen Winden aber schon so, dass „man sich mit Erfahrung nach drei, vier Fliegern ‘eingeschossen’ hat und anschließend automatisch richtig weiterstaffelt", so einer meiner Freunde bei Approach in Hamburg.

Das war nun ein kurzer Einblick in die kleinen Tücken, die uns der Wind bescheren kann. Dies hier war der vermutlich vorletzte Teil der kleinen Serie. Im nächsten Teil geht es um eine Nachtschicht bei Rhein-Radar in Karlsruhe. Die DFS hat es mir ermöglicht dort einmal eine ganze Nacht mit am Radarschirm zu verbringen und bei dieser Gelegenheit mit einem der Kollegen aus der Überlingen-Nacht zu reden.