Kleine ATC - Weisheiten ( 3 )

Abflugrouten contra Lärm

 

Dieser Teil unserer kleinen Serie beschäftigt sich mit einem, wieder mal, etwas heiklen Thema. Einleiten möchte ich aber mit einem kleinen „Schwank aus meiner Jugend“. Es ergab sich, dass ich zu Bremer Flugschulzeiten genau unter der „3India“-Abflugroute wohnte. Morgens um sechs kam die erste Hapag nach Mallorca, um Viertel nach der Turboprop nach Berlin und um halb sieben die Lufthansa nach Frankfurt. So war automatisch gewährleistet, dass ich rechtzeitig wach war um pünktlich in der Schule zu erscheinen. Es sei denn, ja es sei denn die „09“ war in Betrieb, dann musste ich mich allein auf meinen Wecker verlassen.

Fluglärm wird in der Gesellschaft sehr kontrovers wahrgenommen. Für viele ist es schlichte Ruhestörung andere dagegen reden schon mal von „the sound of freedom“. Deshalb möchte ich in diesem Artikel auf die Entwicklung einer SID-Standard Instrument Departure eingehen, darlegen welche Tools die DFS dafür verwendet und schlussendlich auch die Rolle der Bürger aus dem näheren Flughafenumland kurz erläutern. Letztere werden in der Regel durch ihre Bürgermeister in der Fluglärmkommission vertreten. Hier war Herr Landrat Manfred Pointner aus Freising als Vorsitzender der Fluglärmkommission in München so freundlich und stand uns, zusammen mit seinem Stellvertreter Bgm. Herbert Knur (Gem. Berglern, Landkreis Erding), Rede und Antwort in einem sehr offenen und freundlichen Gespräch mit Georg Fongern und mir. Dazu später aber mehr.

 

Ich hoffe vorab, dass sie es mir nicht übel nehmen, wenn der Artikel wohnortbedingt wieder etwas „Bayern-lastig“ wird. Die Empfindsamkeiten bezüglich Fluglärm sind zumindest in allen Regionen ähnlich.

Seit dem 17. Mai 1992 ist der „Franz-Josef-Strauß“-Airport nun in Betrieb. Dass die Bayern schon damals Weitblick bewiesen, zeigt die Tatsache, dass der Münchner Flughafen mit dem bestehenden, nahezu unveränderten Abflugroutensystem bis heute eine jährliches Wachstum von im Mittel 10-15% bewältigt hat. Da hat auch die Einführung von EAM04 am 19.April 2001 nicht viel geändert. Einzig die ANKER-Departure Richtung Osten wurde an die ICAO-Vorgaben angepasst. Denn auch wenn im Zuständigkeitsbereich des Towers die beiden Pisten weitgehend unabhängig betrieben werden können, so endet diese Freiheit beim Departure-Lotsen. Für dessen Bereich sind die Parallelbahnen mit 2300m, also rund 1,3nm, immer noch zu nahe beieinander um vollkommen unabhängigen Betrieb zu gewährleisten. Deshalb musste bis Mitte Mai 2003 vom Tower-Nord-Lotsen jeder einzelne ANKER-Abflug von der 08L mit seinem Kollegen im Süden koordiniert werden. Für solche Dinge schreibt die ICAO eigentlich eine SID-Divergenz von mindestens 15° vor. Überhaupt steht sehr viel in dem 5cm dicken DOC8168-PANS OPS Vol. II der ICAO.

Allein für einen simplen Turn nach dem Takeoff müssen schon zahlreiche Parameter berücksichtigt werden. Wie das aussehen kann zeigt folgendes Bild.

 

 

Einfach einen Strich in die Karte malen und ein bisschen Text dazu schreiben reicht da leider nicht aus. Hans-Georg Schmidt ist Verfahrensplaner in München und erklärte mir die einzelnen Schritte einer SID-Entwicklung. Zuerst ist da natürlich der Auslöser für die neue Definition. Das reicht von komplett neuen Abflugrouten, über Strukturänderungen beim Luftraum, kapazitätsbedingte Anpassungen bis hin zu ganz simplen Änderungen der Variation. Mitunter sitzt dabei den Planern der Schalk aber echt im Nacken. Die München-Matadore unter uns Fliegern wissen inzwischen ja etwas anzufangen mit GIVeMe äh pardon GIVMI3W(hiskey).

Grundsätzlich beginnt eine Departure-Route am Airport, allerdings „Manchmal müssen wir das Pferd auch von hinten aufzäumen“ meint Hans-Georg Schmidt. „Bei kleineren Plätzen suchen wir oft zuerst nach einer passenden Anbindung an die Airways und planen von dort den Weg zurück, praktisch entgegen der Flugrichtung, zur Piste“ Ganz am Anfang steht jedoch immer ein Entwurf. „Ich nehm da immer noch Bleistift und Papier bzw. unsere DFS-Arbeitskarte“, so Schmidt, „Da sind alle wichtigen Funknavigationsanlagen eingezeichnet. Deren Reichweite ist mir bekannt und natürlich auch die Lage der Ansiedlungen. Nachdem ja alle SIDs immer noch durch konventionelle Funkfeuer definiert werden müssen, suche ich mir geeignete Radiale oder Bearings um der Abflugroute ein Gesicht zu geben“ Dieser Rohentwurf, der dann schon sehr nahe an die spätere Veröffentlichung ranreicht, wird im Computer in Langen in eine elektronische Form gebracht. Will man alle Designkriterien einhalten, dann scheint es fast unmöglich auch noch auf Fluglärmbelange und Topographie des Umlandes Rücksicht zu nehmen. Dass die DFS an dieser Stelle aber doch mehr macht als eigentlich von der ICAO vorgegeben beweist das nächste Bild.

 

 

Mit einem System namens NIROS (Noise Impact Reduction and Optimization System) sind die Planer der Flugsicherung quantitativ in der Lage die Zahl der betroffenen Einwohner abzuschätzen. So kam bei dem Entwurf der ANKER3Q heraus, dass nach Einführung sogar weniger Personen von Fluglärm betroffen sind, als das noch mit der alten SID der Fall war. Dabei wird auch das mittlere Steigflugverhalten der Luftfahrzeuge eingerechnet. Topographische Besonderheiten, eher bekannt aus Eppstein südlich des Taunus, kalkuliert die DFS derzeit nur im Bereich Frankfurt mit ein, an den anderen Plätzen rechnet NIROS mit der Höhe des Flughafens.

NIROS Berechnungen können derzeit nur für die Flughäfen: EDDB, EDDC, EDDE, EDDF, EDDH, EDDI,  EDDK, EDDL, EDDM, EDDP, EDDS, EDDT, EDDV, EDDW durchgeführt werden.

 

Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt an dem der SID-Entwurf der Fluglärmkommission vorgelegt wird.

Martin Köppl ist Presse- und Öffentlichkeitsbeauftragter der DFS in München und übernimmt hier meist den Part die Informationen in allgemein verständlicher und vor allen Dingen fachlich korrekt begründeter Weise vorzustellen. „Wir betreiben einen immensen Aufwand, um diese komplexe Materie Verfahrensplanung verständlich zu kommunizieren. Unternehmensphilosophie der DFS war schon immer, offen und ehrlich zu informieren“, so Köppl, „Die Bürgermeister und Interessenvertreter sind durch die modernen Medien mittlerweile sehr gut über die relevanten Sachthemen der Fliegerei informiert. Die würden sehr schnell merken, wenn wir ihnen ein Kuckucks-Ei ins Nest legen wollten“. Allerdings gibt Köppl auch klar zu verstehen wie er die Rolle einer Fluglärmkommission sieht. „Natürlich können die Kommissionen gegen eine SID stimmen, aber sie haben im wesentlichen einen beratenden Charakter. Außerdem sollten sie meines Erachtens geeignete Vorschläge unterbreiten, wie im Bedarfsfall von uns eine SID in ihrem Sinne besser gestaltet werden kann. Beispielsweise haben wir bei den Südabflugrouten von der 26L, den Wünschen des Gremiums entsprechend, den Abdrehpunkt um 0,1nm verändert.“

Die rechtliche Grundlage für die Fluglärmkommissionen steht in Amtsdeutsch im Luftverkehrsgesetz:

 

§32b LuftVG

 

(1) Zur Beratung der Genehmigungsbehörde sowie der für die Flugsicherung zuständigen Stelle über Maßnahmen zum Schutz gegen Fluglärm [..] wird [..] eine Kommission gebildet.

[..]

(3) Die Kommission ist berechtigt, der Genehmigungsbehörde sowie der für die Flugsicherung zuständigen Stelle Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung gegen Fluglärm oder zur Verringerung der Luftverunreinigung durch Luftfahrzeuge in der Umgebung des Flugplatzes vorzuschlagen.

 

Sind die Vorschläge der Kommission ungeeignet oder undurchführbar, so muss dies dem Gremium auch begründet dargelegt werden. Verhindert werden kann eine neue Abflugroute jedenfalls relativ schwer. Wobei Hans-Georg Schmidt schon zu erkennen gibt, dass zwar ohne die Zustimmung der Gemeinden eine Abflugroute eingeführt werden kann, aber dann durchaus mit rechtlichen Schritten gerechnet werden muß. „Wenn sich bereits in der Sitzung der Fluglärmkommission heftiger Widerstand abzeichnet, dann tun wir uns auch schwer unsere Vorschläge endgültig umzusetzen“. Deshalb ist die DFS stets bemüht über sachliche Argumente den Konsens mit den Anliegern zu suchen.

Selbstverständlich hat die Fluglärmkommission eine eigene Vorstellung über die sinnvolle laterale Führung von Abflugrouten. „Im unmittelbaren Nahbereich wollen wir eine möglichst gute Bündelung des Flugverkehrs und etwas weiter entfernt ist eine breitere Streuung durchaus wünschenswert“, so der Landrat von Freising und Vorsitzender der Münchner Fluglärmkommission Manfred Pointner auf die Frage, was wichtiger sei, Bündelung oder Streuung des Luftverkehrs. Die DFS hat hierbei in der Vergangenheit wohl auch dazulernen müssen. Darauf weist jedenfalls die Aussage von Herbert Knur, Pointners Stellvertreter hin, dass „die DFS auf Anregungen inzwischen sehr viel besser eingeht als früher“. „Auch das Verhältnis zur FMG ist mittlerweile offener als früher“ deutet Knur den Wechsel in der Geschäftsführung der Flughafengesellschaft an. Die Fluglärmkommission würde sich gerne mit etwas mehr Einflussmöglichkeiten ausgestattet sehen. Allerdings entscheidet im Gesamtprozess das Luftfahrtbundesamt darüber, ob eine geplante Abflugroute eingeführt wird oder nicht.