Kleine ATC -
Weisheiten ( 2 ) |
Grundlagen
der Staffelung |
Oft wird die Frage gestellt, warum die Freigabe des Lotsen jetzt gerade
so lautet und wo denn der dazu passende Verkehr ist. „Warum müssen wir
hier jetzt 20 Grad nach links drehen oder wieso können wir nicht gleich
in die gewünschte Flughöhe“. Diese Gedanken sind sicherlich schon jedem
Piloten einmal durch den Kopf gegangen. Die Antwort darauf ist leider
nicht immer ganz einfach, weil dazu in der Regel sehr gute Kenntnisse
des jeweiligen Sektors notwendig sind. Deshalb möchte ich hier eine
kleine Einführung in die Grundtechniken der Staffelung geben.
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Der Kontrollstreifen
Grundlage für die Arbeit der Lotsen ist
der Kontrollstreifen. Er wird auf Basis des Flugplanes und auch der Daten
bereits durchflogener Sektoren erstellt und liegt den Controllern etwa
20min vor Einflug in den jeweiligen Sektor vor. Grafik 1 zeigt einen
solchen Kontrollstreifen auf dem die wichtigsten Daten benannt sind. Also
z.B. cleared Level, im Flugplan beantragte TAS, Überflugzeiten,
Zwischenflugzeiten, etc.
Die
Streifen haben ein Format von rund 13.5cm x 2.5cm und liegen vor dem
Lotsen in der so genannten Bay. Dabei werden die Streifen nach
Überflugzeiten von unten nach oben in aufsteigender Folge einsortiert.
Überfliegen zwei Flugzeuge das Referenzfix zur gleichen Zeit, so wird das
aktuell höher freigegebene Aircraft auch weiter oben eingeordnet.
Räumlich nah zusammenliegende Fixe, wie in unserem Beispiel ALB, TALAL und
DOSIS werden in der Bay unter einem Designator zusammengefasst.
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Die Ausgangssituation
Die DFS in München hat exklusiv für die
Vereinigung Cockpit anhand des Originalsektors NR2 (Freq. 129.100)
eine typische Situation entworfen, wie sie sehr häufig im alltäglichen
Verkehr vorkommt. Bei fünf Fliegern gleichzeitig spricht man von
geringem Verkehrsaufkommen. In dieser Kombination ist es allerdings
schon eine komplexere Verkehrssituation. Wir haben uns bei diesem
Szenario auf fünf Flieger beschränkt. Zum einen wäre es sonst zu
unübersichtlich geworden und zum anderen hätten Sie sich schwerer
getan die Situation nachzuvollziehen.
Passend dazu
zeigen wir Ihnen hier das Streifenbild wie es auch der Lotse an seinem
Arbeitsplatz vorliegen hätte. Wie gesagt, diese Informationen stehen
ca. 20min vor Einflug in den Sektor zur Verfügung und das ist auch die
Zeitspanne innerhalb derer eindeutige Konflikte bereits im Vorfeld
gelöst und wegkoordiniert werden. Sie sehen, dass alle Flüge
etwa zur gleichen Zeit in der Region um Allersberg ankommen. D.h.
diese fünf Flüge sind, aufgrund der standardmäßig, koordinierten
Übergabehöhen, schon mal potentielle „Hingucker“.
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Wir haben aber
auch ein Radarbild für Sie. Im ersten Screenshot sehen Sie wie sich
die Situation am Radarschirm darstellen würde. Zur Orientierung seien
nochmals die Fixe benannt. Das VOR Allersberg ALB ist den meisten
Kollegen ein Begriff. TALAL kennen gerade die Piloten, die viel vom
Balkan kommend nach Frankfurt fliegen und DOSIS ist das kleine Kreuz
etwa 5nm östlich von ALB.
Grundlagen
Lesen wir mal
den obersten Streifen. Die ATS073 ist eine B747-400, kommt aus Dubai
fliegt nach Frankfurt und überfliegt TALAL geplant um 0951UTC. Die
Zwischenflugzeit zwischen AKINI und TALAL beträgt 5min und nach ASPAT
weitere 3min. Standardmäßig ist der Flug zur Übergabe nach Langen (das
„L“ oben links, „R“ für Rhein-Radar) in FL240 vereinbart. Letzteres
erkennt man an der invertiert gedruckten 240 unten rechts im Feld für
die Flughöhen.
Na ? Alle
Angaben gefunden auf dem Streifen ? Dann ist ja zumindest die Basis
für Ihre Lotsenlizenz vorhanden.
Ich sag’s
Ihnen ganz ehrlich. Inzwischen habe ich in verschiedenen
Kontrollzentren zahlreiche Stunden, oft auch mal einen ganzen Tag, mit
am Board verbracht und die wesentlichen Eckdaten eines Streifens kann
ich lesen, aber aus mehreren, übereinander liegenden werde ich auch
heute noch nicht wirklich schlau. Die Lotsen sind aber in der Lage aus
diesen Informationen bereits im Voraus im Kopf ein Bild des
entstehenden Verkehrsstromes zur erarbeiten. Dazu gehört allerdings
eine fundierte Ausbildung und viel Erfahrung.
Frank Depping
gehört zu diesen Lotsen und ist mittlerweile Wachleiter in
München.
Für
die „Ehre“ eines Streckenerfahrungsfluges musste er mir aber
versprechen hier an diesem Artikel mitzuarbeiten. Nachdem wir ganz gut
miteinander auskommen, hoffe ich dass Sie es uns verzeihen, wenn die
eine oder andere Erklärung hier im Artikel etwas flapsig wirkt. Frank
gehört zu der Mehrheit der Lotsen, denen ihr Beruf wirklich Spaß
macht. Das müssen wir Piloten jetzt nicht verstehen, aber es verhält
sich bei den Lotsen ähnlich wie bei vielen von uns mit dem Virus
Fliegerei.
Doch Stopp!!
Eigentlich wollten wir Ihnen ja zeigen wie’s geht. Hier also passend
zur Streifenlage das Radarbild.
Weil die VC
schon immer kostenbewußt gearbeitet hat, haben wir den Screenshot
invertiert um Druckerschwärze zu sparen. Damit wird das Bild vor allen
Dingen auch leichter lesbar.
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Die Problemstellung
Nun eine
kleine Übung zu Beginn. An welchem Punkt etwa hat die ATS073 die
QUAT35 eingeholt ?
Zwar hat
mir Frank gesagt, dass ein Lotse so etwas auf den ersten Blick sieht,
aber er hat’s mir trotzdem noch mal vorgerechnet. Hier der
Original-Ton: „Vor der ATS073 ‚radelt’ (sorry, liebe
Turboprop-Kollegen) QUAT35 mit einem Ground-Speed-Unterschied von
260kts. Von den 23nm Vorsprung ‚knabbert’ die ATS073 4,5nm/Minute ab,
d.h. etwa 5nm westlich TALAL sind die Flieger exakt übereinander.“
Beide sollen aber in FL240 übergeben werden. Also, unterschiedliche
Level oder den Jumbo auf Speed IAS220kts reduzieren ? Die Lösung
gibt’s auf der nächsten Seite.
Versuchen Sie jetzt abzuschätzen welcher Flug zuerst ALB erreicht.
VC4751 oder die ADO736. Ein Strich, der den Airway markiert hat die
Länge von 5nm. Damit hat die VC4751 noch 27nm zu fliegen und die
ADO736 ca. 32nm, ist jedoch rund 20% schneller.
Aber
Achtung ! Die VC4751 ist noch im Steigflug und wird mit zunehmender
Höhe schneller. Also, wer ist vorne ? Schon haben wir unser zweites
Problem. Beide Flugzeuge wollen die gleiche Strecke fliegen. Einer
nach Paris, der andere nach London aber beide über LOHRE und BOMBI
Richtung Westen. Die 736 will in FL260 bleiben und die 4751 ist
standardmäßig in FL260 für die Übergabe zu Rhein-Radar zum weiteren
Steigflug koordiniert. Man könnte die VC jetzt schon direkt nach LOHRE
drehen (ca. 30° nach links). Allerdings wollte die VC4751 due to
weather noch weitere 20nm geradeaus fliegen. Dumm gelaufen !
Drittes
Problem. Die FDT451 hat FL320 requested. Na? Wie hoch nehmen sie den?
Haben Sie auch die ADO in FL260 nicht übersehen und für die FDT die
koordinierte Übergabehöhe von FL270?
So, wenn
Sie gleich umblättern, zeigen wir Ihnen eine Lösung des beschriebenen
Problems.
Schon mal
geschaut wie lange Sie bis hierher zum Lesen gebraucht haben? 10min?
O-Ton Frank: „Ein Problem dieser Art ist Routine und wird innerhalb
von wenigen Sekunden gelöst“.
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Die Lösung
Gut ! Hier
also wie versprochen eine mögliche Lösung der gezeigten
Aufgabenstellung. Jeder Lotse wird diese Situation mit den gängigen
Grundtechniken individuell lösen. Sie kennen das aus der täglichen
Arbeit. Mal kriegt man zehn Grad Kursänderung, mal Mindest- oder
Maximalgeschwindigkeit und ab und an muss man für einige Zeit ein
bestimmtes Level einhalten. Dabei berücksichtigt ein Controller auch
immer Rahmenbedingungen, die uns im Flugzeug vielleicht nicht immer so
bewusst sind. Ein Lotse muss z.B. damit rechnen, dass ein Direct einem
Flieger eventuell eine deutliche Zu- oder Abnahme an Groundspeed
beschert.. Dieses, weil das Flugzeug beispielsweise stärker in die
Achse eines Jets dreht.
Vieles in der Lotsenarbeit beruht auf
Kopfrechenarbeit. Beispiel: Ein Lotse hat einen „Nullmeiler“. Das
heißt Sie würden mit einem anderen Flieger in der gleichen Höhe, zur
gleichen Zeit, an einem Kreuzungspunkt sein. Der Lotse braucht aber in
diesem Fall Minimum 5nm Abstand. Dazu dreht er Sie 5 Grad nach rechts.
Wie weit ist Ihr Gegner entfernt?
Sie kennen die
1:60 Regel ? Gut, dann wissen Sie, dass Sie auf dem TCAS gar nicht
nach Ihrem Gegner suchen brauchen, weil der bei 40nm Range eben nicht
mehr angezeigt wird, wenn er tatsächlich 60nm entfernt ist. D.h.
gerade im Upper Airspace werden sie mit diesen geringen Kursänderungen
vor kritischen Annäherungen bewahrt, die vermutlich erst in zehn,
zwölf Minuten eingetreten wären.
Hier unten
sehen Sie das Radarbild unserer Situation, wie es sich ca. 3min nach
dem ersten Screenshot darstellt. Der Vollständigkeit halber sind auch
noch mal die komplett ausgefüllten Streifen dargestellt.
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Schauen Sie
sich unser erstes Problem an. Der QUAT35 und die ATS073. Die QUAT legt
ca. 3,5nm/min zurück und wird in ca. 2min die vorhergesagte
Deckungsgleichheit mit der ATS erreichen. Die ATS ist noch doppelt so
weit von diesem Punkt entfernt aber auch doppelt so schnell. Da der
Weg nach Frankfurt noch weit ist, wäre hier die Speed-Lösung (ATS073,
speed 220) gelinde gesagt „suboptimal“. Da vor der QUAT35 keine
weiteren Frankfurt-Inbounds fliegen werden für die beiden Flieger
unterschiedliche Flightlevel koordiniert und die QUAT35 auf FL230,
sowie die ATS073 auf FL240 heruntergenommen.
Problem 2:
Haben Sie richtig getippt bei der VC4751 und der ADO736 ?? Sie sehen,
dass die VC mittlerweile deutlich näher an ALB ist als die ADO. Die VC
konnte ursprünglich nur auf FL220 gecleared werden, weil zuerst die
QUAT35 nach FL230 descended wurde.
Nun ist aber
die VC4751 sowohl von der QUAT35 als auch vom Wetter „klar“, wie die
Lotsen sagen, und wird in dieser Position direkt nach LANGI (24nm
westlich ALB, abeam NORAS) freigegeben. Ist dann sichergestellt, dass
die VC den Turn initiiert hat und immer noch deutlich schneller
bleibt, so erhält sie die Anweisung auf FL260 zu steigen. Zwar sind
VC und ADO mit rund 7nm noch recht nahe beieinander, aber da die VC
ca. 70kt schneller fliegen wird, vergrößert sich dieser Abstand trotz
des Turns wieder und die beiden Flieger können im koordinierten Level
zu Rhein-Radar abgegeben werden.
Bleibt uns
noch die FDT451. Wie Sie sehen wurde deren Steigflug gleich von drei
Fliegern „behindert“. Der QUAT, ATS und ADO. Ihn deswegen bei
Ingolstadt bereits „nen Schlag“ nach rechts zu drehen, hätte ihn
vielleicht früher von der QUAT weggebracht, aber näher an die ADO und
die ATS heran. Deshalb wurde in dieser Situation zunächst ein
Steigflug auf FL220 freigegeben. Sie erinnern sich, die QUAT war für
FL230 koordiniert. Besteht dann genug Sicherheitsabstand zur QUAT, so
kann für die FDT auch der weitere Steigflug auf FL250 erfolgen.
Die
FDT451 mit niedriger Rate weitersteigen zu lassen ist hier eher
ungünstig. Besonders bei min./max. Climb-Rates, haben viele Lotsen
negative Erfahrungen gemacht. Ein Beispiel von Rhein-Radar. Ein
Kollege von uns wird gefragt, ob er 1500ft/min oder mehr halten kann
und nach positiver Antwort mit dieser Rate auf FL280 freigegeben. Der
Lotse beabsichtigt einen nachfolgenden Flieger, der kurz nach dem
ersten gestartet ist, aufgrund anderer Performance mit größerer
Geschwindigkeit tiefer zu lassen und damit den Vorausfliegenden zu
„unterholen“. Dazu wird dem Hintermann logischerweise „1500ft/min
Maximum“ angewiesen. Unangemeldet reduziert aber der Vordermann
plötzlich seine Steigrate.
Auf Rückfrage des Lotsen
kommt die lapidare Antwort: „Affirm, you should know, that we can’t
keep the rate up to FL280“.
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Ich kann hier
nur wiederholen, was ich auch den Lotsen immer wieder sage:
Machen Sie
Ihre Arbeit transparent !!
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Geben sie bei
Avoidance-Headings an, wie viele Meilen Sie diesen Kurs in etwa
beibehalten möchten.
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Sagen Sie rechtzeitig,
wenn Sie einen Constraint nicht einhalten können.
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Sagen Sie laut und
vernehmlich „unable“, wenn eine Clearance für Sie inakzeptabel ist.
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„We do our best“ reicht
nicht aus! Entweder Sie schaffen die Restriction oder eben nicht!
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„On TCAS“ nutzt dem
Lotsen überhaupt nichts. Es hilft nur „in Sight“ oder „not in Sight“
Ich hoffe, Sie konnten unser Beispiel
weitgehend nachvollziehen. Es ist sehr schwer dies verständlich
rüberzubringen. Auch mehrere Simulator-Übungen bei der DFS machen noch
keinen Lotsen. Trotzdem hat der regelmäßige Kontakt zu den Lotsen viel
zu meinem Verständnis für deren Arbeit beigetragen. Das geht dann so
weit, dass ich schon mit roten Ohren vor dem Radarschirm saß, als ich
zwei Flieger im gleichen Level prompt übersehen habe. Allerdings im
Simulatorraum der DFS in München. Wenn Sie das mal erlebt haben und
lotsen nicht als Computerspiel verstehen, dann können Sie
nachvollziehen, was in einem Lotsen vorgeht, wenn es zu einer engen
Situation kommt.
Wollen Sie das selber ausprobieren ?
Dann sprechen Sie einfach die Mitarbeiter in der nächstgelegenen
DFS-Niederlassung an. Diese sind zur Zeit noch in Berlin, Bremen,
Langen, Karlsruhe und München. Eventuell findet sich die Möglichkeit,
einmal mit einem erfahrenen Controller selbst am Simulator zu lotsen.
Viel Spaß dabei
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