Kleine ATC - Weisheiten ( 1 )

Radar und Radardatendarstellung

Vorwort

Dies ist der Beginn einer kleinen Serie über Dies und Das der Flugsicherung. Animiert durch viele Fragen meiner Kollegen möchte ich einen Teil des Know-How weitergeben. Sicherlich sind es nur Kleinigkeiten, die unseren fliegerischen Alltag bestenfalls tangieren, aber die eine oder andere interessante Neuigkeit ist hoffentlich für Sie dabei. Zwar ist es bestimmt nicht überlebenswichtiges Wissen, trotzdem lässt sich damit hier und da eine Ungereimtheit vielleicht ausräumen. Gedacht hatte ich mir eigentlich kleine, handliche Häppchen zu reichen, sozusagen ATC-Canapés, die leicht verdaulich auch Lust auf mehr machen. Deswegen versuche ich den Umfang von zwei DIN A4-Seiten nicht zu überschreiten und bitte um Entschuldigung wenn mir dies, vermutlich schon im ersten Teil, ab und an nicht gelingen sollte.

In loser Folge geplant sind folgende Themen:

 

(1) Radar und Radardatendarstellung -

Welche Informationen stehen dem Lotsen am Radar zur Verfügung und welche davon darf er für die Staffelung anwenden.

(2) Grundlagen der Staffelung -

Der Weg vom Flugplan zur Clearance. Wie wird vom Lotsen ein potentieller Conflict analysiert und gelöst

(3) Kritische Windprofile -

Die kleinen, natürlichen Bosheiten, die einem „Director" das Leben schwer machen.

(4) Wenn es Nacht wird über Deutschland -

Eine Nachtschicht bei Rhein Radar in Karlsruhe mit Nachbetrachtung des Bodenseeunfalles.

(5) SIDs contra Lärm -

Des einen Freud, des andern Leid. Abflugrouten im Spannungsfeld von Pilot und Anwohner.

Radar

Die Erfindung aus der Zeit des zweiten Weltkrieges ist heutzutage aus der Luftfahrt nicht mehr wegzudenken. Primärradar, ( RADAR = Radio detection and ranging ) bedient sich des Echos eines Hochfrequenzpeilsstrahls, der von genügend großen Objekten reflektiert wird. Manchmal reicht dazu auch ein LKW, der auf der Autobahn über eine Bergkuppe fährt. Dies kennen gerade die Frankfurter Approacher aus leidiger Erfahrung, können sie doch manchmal den Verkehr auf der A3 „online" mitverfolgen. Um nun den Bildschirm nicht unnötig vollzumüllen, werden bei den Lotsenarbeitsplätzen die quasistationären Ziele, also sich sehr langsam bewegende Objekte, ausgeblendet. Dies kann allerdings auch dazu führen, dass z.B. das Primärecho eines Hubschraubers im Schwebeflug vom Rechner unterdrückt wird. Momentan sind bei der DFS so viele Anlagen in Betrieb, dass eine 100%ige Abdeckung gewährleistet ist. Das heißt mindestens eine Primärantenne erfasst Ihr Flugzeug immer. Die Reichweite dieser Antennen variiert zwischen 60nm bei schnell drehenden „Approach-Antennen" mit einer Umlaufzeit von 5s und 120nm bei „Center-Antennen", welche etwa halb so schnell drehen. Die Drehzahl der einzelnen Antennen ist ursächlich dafür, wie schnell ein neues Positionsupdate am Radarschirm zur Verfügung steht.

Das zweite System ist das Sekundärradar. Dieses wird momentan umgerüstet um auch Signale der Mode-S-Transponder zu verarbeiten. Die Datenwortbreite von Mode-S ist mit 56bit bzw. 112bit groß genug, um zahlreiche Informationen vom Flugzeug zum Boden zu übertragen. Im Rahmen dieser Entwicklung kann man auch darüber nachdenken, ob nicht etwa bei einer TCAS-RA die Richtung des RAs ( Climb, Descent ) oder auch die am Autopiloten selektierte Flughöhe verzögerungsfrei an die ATC-Stelle übertragen und am Radarschirm zur Anzeige gebracht wird. Dies würde evtl. dazu beitragen, dass in Zukunft gegensinnige Anweisungen von ATC und TCAS vermeidbar sind.

Die allererste Sekundärantenne, welche auch in der Lage ist, Mode-S-Signale zu verarbeiten, befand sich bis Anfang Mai in der Evalierungsphase nach der erforderlichen Flugvermessung. Sie wurde, wenn alle Tests erfolgreich verliefen, in den letzten Tagen in Betrieb genommen. Es ist die südliche Platzradarantenne, des Frankfurter Approach-Luftraumes.

In Deutschland arbeiten flächendeckend Sekundär-Anlagen. Die Antennen haben eine mittlere Reichweite von 150-200nm und sind so verteilt, dass ein Flugzeug an seiner Position immer von mehreren Peilstrahlen erfasst wird. Im grenznahen Bereich erhält die DFS darüberhinaus Daten von Radaranlagen der Nachbarländer. So wird sichergestellt, dass die einzelnen Flugzeuge immer von zwei bis fünf Antennen mehr oder minder gleichzeitig erfaßt werden. Da nun die Peilinformationen nicht alle zur gleichen Zeit zur Verfügung stehen, müssen die ermittelten Werte erst noch mit den Ergebnissen der anderen Antennen synchronisiert werden. Dazu enthält jedes Datenpaket neben Richtung und Distanz auch einen Zeitstempel. Über verschiedene Algorithmen wird daraus, ähnlich wie bei Flugzeugen mit mehreren Navigationseinrichtungen, eine Art Triple-Mix-Position bestimmt. Bei älteren Systemen der DFS verwendet der Rechner auch die zuvor errechneten Positionsdaten und führt mit diesen eine Plausibilitätskontrolle durch. Dabei wird mit Hilfe von Kurs und Geschwindigkeit des Flugzeuges untersucht, ob die neu errechnete Position auch Sinn macht. Diese Berechnungsmethode wird "plotting" genannt. Gerade bei sich überlappenden Zielen ist diese Aufgabe nicht immer ganz einfach und es kommt auch schon mal vor, dass das Callsign-Label dem Nachbarziel zugewiesen wird.

Bei den modernen Systemen mit Informationen von mehreren Sekundärantennen muß diese Plausibilitätskontrolle nicht mehr durchgeführt werden, da durch das Multi-Radar-Tracking eine deutlich höhere Zuverlässigkeit bei der Positionsbestimmung erreicht wird. Die horizontale Auflösung der Anlagen erreicht dabei in 95% aller Fälle eine Genauigkeit von ca. 0,5nm, jedoch nie mehr als 1nm.

Wofür verwenden nun die Lotsen das Radar ? Wie in Deutschland üblich, ist auch diese Aufgabe in einer Vorschrift hinterlegt. Nämlich im Kapitel „General Radar Procedures" des Lotsen OM-A.

BAVK

420      General Radar Procedures

421      Use of Radar

421.1           Radar shall be used by an ATC unit to:

.11         provide separation;

.12         monitor and vector aircraft;

.13         expedite the flow of air traffic;

.14         assist pilots in circumnavigating areas of adverse weather, in solving navigational problems, in special situations and by issuing traffic information.

421.1           Radar vectoring shall not be terminated before it is assured that the pilot is able to continue his flight on his own navigation

 

Das Radarsystem P1

 

Nun wollen wir aber einen Blick auf das System werfen, das den Lotsen zur Verfügung steht. Zwar arbeiten einige Kontrollzentren der DFS immer noch mit Anlagen aus den 70er Jahren, genannt DERD-(A)X(L) aber so nach und nach werden die Regionalstellen auf P1 umgerüstet. Die Radarzentrale Langen, mittlerweile ist Düsseldorf integriert, arbeitet schon seit knapp zwei Jahren mit dem neuen System. In München wird es voraussichtlich zum Ende des Jahres in Betrieb gehen und auch in Bremen ist die Installation bereits geplant. Leider gibt es immer noch kleine Hindernisse. So konnte z.B. bisher das P1-Düsseldorf nicht mit dem P1-Langen auf elektronischem Wege koordinieren. Das heißt die Lotsen mussten bei Sektor-überschreitendem Verkehr zwischen Langen und Düsseldorf immer noch manuell koordinieren. Mittlerweile sind aber diese beiden Systeme miteinander verschmolzen. Dafür "redet" P1-München noch nicht mit P1-Langen. Innerhalb einer Kontrollzentrale geht’s zwar und die Systeme sind auch in der Lage, flugsicherungsrelevante Daten auszutauschen. Allerdings bieten sie im „innerdeutschen Grenzverkehr“ nicht die "Komfortfunktionen", die regional zur Verfügung stehen. Gründe dafür sind durch Rechnerleistung begrenzte Kapazität, Vorgaben zu Redundanz und Ausfallsicherheit und örtliche Unterschiede bei den UNIX-Systemen. Meines Erachtens irgendwie komisch, daß zwei eigentlich identische Systeme, nicht in der Lage sind, wichtige Flugsicherungsdaten untereinander auf elektronischem Wege auszutauschen. Gerade die aufwendige Koordination ist oft der Hauptgrund, daß viele unserer Requests nicht erfüllt werden.

Trotzdem ist das P1 ein deutlicher Entwicklungsschritt nach vorne. Folgende Grafik zeigt einen Überblick über die Systemstruktur des P1-LAN (Local Area Network).

Kernstück des P1 ist das RDPS - Radar Data Processing System. Es erhält die Positions-Tracking-Daten der Radaranlagen und errechnet daraus die Tracks der Luftfahrzeuge. Über das Glasfaser-LAN des ATC-Systems steht das RDPS mit dem FDPS - Flight Data Processing System in Verbindung. Flugzeugpositionen und errechnete Überflugzeiten werden hier verglichen und zeitliche Abweichungen automatisch an die betroffenen Sektoren weitergemeldet. Wenn das Flugzeug einen von P1 überwachten Luftraum verlässt, wird eine Koordinationsaufforderung an den Lotsen generiert. Dieser muß dann mit den Nicht-P1-Sektoren koordinieren, sofern der Flugweg, -höhe oder Überflugszeiten von den Standardabsprachen abweichen.

Wichtiges Tool für den Lotsen ist dafür sein Arbeitsplatz. Hier das Bild eines typischen P1-Arbeitsplatzes.

 

Dominiert wird die „Controller Working Position" (CWP) von dem großen quadratischen 30"-Bildschirm, im Fachjargon SDD (Situation Data Display) genannt. Er wird mit einer Auflösung von 2000x2000 Pixel betrieben und kostet in der klassischen Kathodenstrahl-Ausführung etwa soviel wie ein neuer, gut ausgestatteter Audi A6. Für die modernere TFT-Flüssigkristallanzeige muß die DFS schon den Preis eines SLK in der AMG-Version hinblättern. Aber wieder weg von den Autos. Über dem zentralen Bildschirm sind zwei Notfunkgeräte und ein Info-Display angebracht. Über letzteres kann der Lotse Informationen wie ATIS, Aktivierung von Restricted Areas und verschiedene weitere Statusmeldungen abrufen. Im Pult vor dem Bildschirm ist das TID (Touch Input Device) integriert. Über dieses ist der Lotse in der Lage, alle flugrelevanten Daten von seinem System abzurufen und zu editieren.

Bei der ganzen Technik kann natürlich auch einiges ausfallen. Sollte wider Erwarten das primäre und sekundäre P1-System komplett „den Geist aufgeben", ist dafür ein Backup-System namens TracView vorgesehen. Dieses ist momentan noch das aktive Kontrollsystem in München. Sobald aber P1 in München den Regel-Betrieb aufnimmt, läuft TracView im so genannten „Hot Standby"-Mode im Hintergrund mit. Zwar ist P1 redundant ausgelegt, aber für den Fall, dass systemintern Fehlfunktionen festgestellt werden, wird aus Sicherheitsgründen in weniger als einer Zehntel-Sekunde automatisch TracView zur Anzeige gebracht. Dies wird dem Lotsen auch sofort auffallen. Das Fallback-System hat nämlich eine deutlich eingeschränkte Funktionalität. Eine sichere Abarbeitung des Flugverkehrs ist aber dennoch gewährleistet und es kann weiterhin mit der Mindeststaffelung von 5nm im Center-Bereich und 3nm in der Approach-Area gearbeitet werden.

Der Unfall vom Bodensee wirft die Frage auf, wie bei P1 Software-Updates aufgespielt werden. Nun, zunächst wird die neue Software an einem baugleichen Testsystem intensiv geprüft. Nachdem im operationellen System zwei Rechner parallel arbeiten, können die Updates im laufenden Betrieb eingespielt werden, ohne die Funktion zu beeinträchtigen. Zum Schluß muß nur noch auf den upgedateten Rechner umgeschaltet und die Software auf den zweiten Computer überspielt werden.

 

Die Darstellung der Radardaten

Sie waren sicherlich schon mal zu Besuch in einem Kontrollraum. Von daher dürfte das folgende Bild nichts Neues für Sie sein.

Dargestellt ist das Label eines Radartargets wie es auf dem Bildschirm des P1 angezeigt werden kann. Leicht zu erkennen ist auch die Art der Information. Zuerst Callsign, Wake-Category, Aircraft-Type und Destination, gefolgt von present Level, up/down Pointer + vertical speed, cleared level sowie weitere Informationen zu Flug und Status. Nicht im Bild, aber üblicherweise mit angezeigt ist die Groundspeed. Der Controller wird aber nicht immer alle Informationen benötigen und kann deshalb für ihn weniger relevante Daten ausblenden. Meine Erfahrung ist, daß sich die Controller nur Callsign, Höhe, Groundspeed und evtl. die vertical speed zur Kontrolle einblenden. Gerade bei der vertical speed klagen meine Freunde oft, daß unsere Kollegen manchmal die angewiesene Rate ohne Vorankündigung um mehrere 100ft/min verändern. Auf diese Problematik werde ich nochmal in der nächsten Folge eingehen.

Welche Informationen davon darf aber der Lotse für seine Staffelung verwenden ? Was wegfällt, ist schon mal die Vertical Speed. Sie wird aus den einzelnen Höhenreadouts des Mode C-Signals errechnet und hängt somit mindestens 5s nach. Grundsätzlich finden Pilot Reports Eingang in die Planung der Lotsen. Wer also den Kollegen am Boden was „vorlügt" der bringt sich selber in Gefahr, weil die Staffelung des Lotsen am Ende auf der eigenen Aussage basiert. Trotzdem ist selbstverständlich das Radar das primäre Tool der Controller um den „Respektsabstand" der Flieger untereinander sicherzustellen. Auch hier bietet die BA-FVK (Betriebsanweisung Flugverkehrskontrolle) die Rechtsgrundlage der Lotsen.

USE OF SSR MODE C READOUTS

If labels are displayed, level readouts may be used for separation purposes irrespective of whether an individual or a group code has been assigned.

[...]

The level indicated may be used for control purposes if it does not differ by more than 300ft from the level coordinated or reported by the pilot.

If the level reported by the pilot differs by more than 300ft from the level indicated, inform the pilot of the difference and request him to give new level information. If the discrepancy persists, request the pilot to stop his Mode C transmission, if possible.

Im Prinzip müssen die Lotsen die Targets auf dem Bildschirm „nur" soweit auseinanderhalten, daß sie die Minimalstaffelung nicht unterschreiten

Radar separation based on the use of RPS and/or PSR blips shall be applied so that the distance between the centres of the RPSs and/or PSR blips, representing the positions of the aircraft concerned, is never less than a prescribed minimum.

( RPS - Radar Position Symbol, PSR blip - Primary Surveillance Radar blip = Primärziel, d. Verf.)

Dass das nicht ganz so einfach ist, wie sich viele von uns vorstellen ist aber Thema der nächsten Folge. Dann werde ich versuchen, den Gedankengang eines Lotsen vom Erhalt der Kontrollstreifen bis zur Aussprache der Clearance in nachvollziehbarer Weise transparent zu machen. So, damit wären wir am Ende des ersten Teils, hoffentlich war‘s nicht zu langweilig, so daß Sie schon Lust auf die nächste Ausgabe haben. In der werden wir dann mal wirklich staffeln.

(Bildquelle&Vorschriften: DFS)